Dazu gehören

Interview mit Rainer Bernhard und Norbert Weiß vom Ring der Körperbehinderten in Freiburg

2005 begannen die Planungen des Wohn- und Servicehauses des Rings der Körperbehinderten e. V. in Freiburg. Nach knapp zweijähriger Bauzeit wurde am 13. Juli 2012 die Eröffnung des geförderten Projekts gefeiert, das 39 rollstuhlgerechte Mietwohnungen und weitere Angebote bereithält. Zuhause im Alter sprach mit dem Vorsitzenden Rainer Bernhard und mit Geschäftsführer Norbert Weiß über Zusammenhalt im Quartier, die schwierigen Bedingungen der Pandemie und darüber, wie ein Projekt seiner Zeit voraus sein kann.

Zuhause im Alter: Herr Bernhard, Herr Weiß, vor gut acht Jahren fand die Eröffnungsfeier des Wohn- und Servicehauses in Freiburg-Rieselfeld statt. Erinnern Sie sich noch an die Beweggründe, ein solches Projekt zu planen und zu realisieren?

Servicehaus Freiburg: Ein Grund war, dass unsere bereits bestehende Ernst-Winter-Wohnanlage eine lange Warteliste hatte und wir den Bedarf und die Nachfrage nicht decken konnten. Wir wollten aber nicht einfach eine Kopie dieser Wohnanlage erstellen, sondern auch Bausteine mit berücksichtigen, bei denen es ebenfalls Bedarfe gibt. Das war zum einen das Trainingswohnen für jüngere Menschen mit Behinderung, die erstmalig außerhalb des Elternhauses wohnen wollen, zum anderen jüngere Menschen mit Behinderung, die mangels Alternativen in einem Pflegeheim untergebracht werden. Für diese beiden Gruppen waren damals ambulante betreute Wohngemeinschaften geplant, was allerdings in den seinerzeitigen Bestimmungen so noch nicht vorgesehen war.

Zuhause im Alter: Hier waren Sie also Ihrer Zeit voraus.

Servicehaus Freiburg: Ja. Wir konnten dies nur im Rahmen der Eingliederungshilfe als stationäre Wohngemeinschaft umsetzen. Das zum 1. Januar 2020 eingeführte Bundesteilhabegesetz (BTHG) sieht nun nachträglich besondere oder gemeinschaftliche Wohnformen als vorrangig an, etwa die ambulant betreute Wohngemeinschaft, in deren Richtung wir seinerzeit gedacht haben.

Zuhause im Alter: Klingt ein wenig nach dem Fluch der guten Tat.

Servicehaus Freiburg: Besser gesagt: Der guten Absicht. Heute müssen wir uns auf die neue gesetzliche Situation einstellen und teilweise nachsteuern.

Zuhause im Alter: Trotzdem: Ihr Projekt läuft und es findet Anklang. Immerhin haben Sie bereits 2012 eine Auszeichnung in der Kategorie "Integrierte Nachbarschaften" des Wettbewerbs "So wollen wir wohnen" in Baden-Württemberg gewonnen.

Servicehaus Freiburg: Unter dem Gesichtspunkt der damaligen Fördermöglichkeiten würden wir dieses Bauvorhaben erneut umsetzen. Das Konzept "Wohnen in einem barrierefreien Stadtteil" mit gutem ÖPNV und Versorgungsmöglichkeiten aller Arten hat sich bewährt. Die Nachfrage nach unseren Wohnungen und Wohnplätzen ist weiterhin hoch. Die Zusammenarbeit mit dem Siedlungswerk Stuttgart hat sich bewährt, auch im Hinblick darauf, dass durch die gleichzeitige Errichtung von Wohnungen des Siedlungswerks in direkter Nachbarschaft von Beginn an Verständnis gewachsen ist - zwischen Alt und Jung, zwischen Menschen mit und ohne Handicap. Dass wir das Projekt als Effizienzhaus 70 umsetzen konnten, war ein richtiger Gedanke. Das Thema war noch nicht so verbreitet wie heute.

Zuhause im Alter: Sie haben sich seinerzeit dazu bekannt, Ihre Angebote auf Menschen mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen zu konzentrieren. Wie gelingt Ihnen eine Teilhabe der Menschen am sozialen und gemeinschaftlichen Leben?

Servicehaus Freiburg: Mit der Einbindung des Hauses in die bereits vorhandene Quartiersarbeit des Stadtteils konnten wir die Bewohnerinnen und Bewohner gut in das öffentliche Leben integrieren. Sie werden deshalb nicht als etwas Besonderes wahrgenommen, sondern gehören dazu. Weitere Bausteine der Teilhabe sind gemeinsame Veranstaltungen wie das Sommerfest und unsere Gruppen- und Sportangebote, die auch Menschen ohne Behinderung offenstehen. In einer Basketballgruppe zum Beispiel, in der auch Gehende in den Rollstuhl müssen, wächst das Verständnis und das Einfühlungsvermögen füreinander.

Zuhause im Alter: Bedingt durch die Pandemie führen wir das Interview schriftlich. Wie sind die Bewohnerinnen und Bewohner, und auch Sie selbst, bisher durch die nicht einfache Zeit gekommen?

Servicehaus Freiburg: Durch die große Umsicht und das Verständnis bei den Bewohnerinnen und Bewohnern, deren Angehörigen und unserem Personal haben wir in unseren Häusern, bis heute, keinen Covid-19 Fall gehabt. Auch wir hatten sehr damit zu kämpfen, erforderliches Material zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner sowie des Personals zu erhalten. Hier gegenzusteuern hat unsere Ressourcen über Wochen stark beansprucht. Die ganzen Freizeit- und Sportangebote sind natürlich auch alle abgesagt worden, erst seit Juli konnte das eine oder andere Angebot wieder, unter Berücksichtigung von Hygieneplänen, aufgenommen werden. Die Architektur des Hauses, die zu großen Teilen auf Individualität und Privatheit setzt, mag einen Beitrag dazu geleistet haben, dass wir die Krise bisher gut bewältigt haben.

Zuhause im Alter: Herr Bernhard, Sie sind seit vielen Jahren einer der Vorsitzenden des Rings der Körperbehinderten in Freiburg. Das Haus ist nach Ihnen benannt. Würden Sie uns Ihr persönliches Fazit und Ihre Wünsche für die Zukunft verraten?

Servicehaus Freiburg: Ein solches Bauvorhaben im Ehrenamt zu entwerfen, die finanziellen Mittel zu generieren und in der Bauphase die Aufgaben als Bauherr wahrzunehmen kann man eigentlich nur einmalig machen. Ich beziehungsweise wir konnten uns erfreulicherweise auf weitere Unterstützer verlassen, die sich mit ihrem Know-how eingebracht haben.
Ich wünsche mir, dass die Bewohnerinnen und Bewohner das Haus weiter mit Leben füllen, sich darin wohlfühlen und wir damit einen Betrag zu einem barrierefreien Leben leisten können. In diesem Jahr führe ich den Verein seit 25 Jahren, ein langer Zeitraum - ich habe mich deshalb schon vor einiger Zeit entschieden, das Amt in absehbarer Zeit abzugeben. Für sich selbst wünscht man sich natürlich Gesundheit und weitere schöne Jahre, immer mit der Freude verbunden an diesem Haus vorbei zu kommen, zu dem man selbst einen Beitrag geleistet hat.

Zuhause im Alter: Herr Bernhard, Herr Weiß, Danke für das Gespräch und alles Gute.

Weitere Informationen

zum Ring der Körperbehinderten – Das Rainer-Bernhard-Haus:
https://ring-freiburg.de/wohnen/rainer-bernhard-haus/

zum Rainer-Bernhard-Haus im Architekturportal Heinze:
https://www.heinze.de/architekturobjekt/rainer-bernhard-haus-freiburg/12641003/

Weitere Rückblicke auf Förderprojekte